Die dreiwöchige interdisziplinäre Summer School fand in Kooperation mit der Fachhochschule Potsdam und fünf Hochschulen aus Taschkent, Bukhara und Samarkand in Usbekistan statt. Rund vierzig Studierende in Begleitung ihrer Professor:innen aus den Studiengängen der Architektur (Andrij Kutnyi), Bauerhaltung (Jörg Röder), Konservierung/Restaurierung (Jeannine Meinhardt und Steffen Laue) und Sozialen Arbeit (Marit Cremer) erforschten gemeinsam die Strukturen der usbekischen Mahallagesellschaft, den Einfluss des Kulturerbetourismus auf die städtebauliche Entwicklung und den Umgang unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteur:innen mit dem Kulturerbe Usbekistans.
Die Studierenden der Sozialen Arbeit erkundeten in zahlreichen Interviews und Gesprächen die traditionell auf Ausgleich angelegten Konfliktlösungsstrategien zwischen Bewohner:innen und Gemeindekomitee eines Wohnviertels (in Usbekistan: Mahalla), sprachen mit Frauen- und Jugendbeauftragten und beobachteten öffentliche Zusammenkünfte, bei denen Bewohner:innen ihre Anliegen direkt bei den kommunalen Entscheidungsträgern vorbringen konnten. Das Mahallakomitee soll durch die engen Beziehungen zur Nachbarschaft frühzeitig Handlungsbedarf erkennen und so beispielsweise in sozialen Notlagen helfen, auf Ehen vorbereiten, bei Ehekonflikten und Erziehungsproblemen beraten, in Fällen von Arbeitslosigkeit in Jobs vermitteln, aber auch kostensparend die Infrastruktur für Hochzeiten und Trauerfeiern zur Verfügung stellen.
Neben staatlichen Strukturen existieren in Usbekistan kaum zivilgesellschaftliche Organisationen. Daher beeindruckte das Gespräch mit der Gründerin des ersten Frauenhauses Rakhmdillik (usbek.: Freundlichkeit, Barmherzigkeit), die engagiert über ihren langen Kampf für Gleichberechtigung berichtete, ganz besonders. Die Studierenden erfuhren, dass Gleichberechtigung in der usbekischen Verfassung seit einigen Jahren festgeschrieben, die Unterordnung von Frauen unter Männer dennoch fest im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sei. Eine unrühmliche Rolle bei der Fortführung der Ungleichheit spielten dabei oft die Schwiegermütter, die ihr eigenes Martyrium an der nächsten Generation junger Ehefrauen statuierten. Viele Ehen scheiterten aufgrund von häuslicher Gewalt durch Ehemänner und Schwiegermütter. Rakhmdillik bietet als eine der raren Schutzorganisationen für Frauen Zuflucht und Perspektiven für ein selbstbestimmtes Leben.
In Gemeinschaftsarbeit untersuchten die Studierenden und Lehrenden aus allen Fachbereichen zudem die Auswirkungen des Kulturerbe-Tourismus auf die über die Jahrhunderte gewachsene Sozialstruktur und die aktuelle Stadtentwicklung. Dabei fielen ihnen die massiven baulichen Veränderungen auf, die mit der Errichtung von Hotels einhergingen und zur Zerstörung der Authentizität der Wohnviertel führten sowie nachbarschaftliche Konflikte hervorriefen. Der unterschiedliche Ansatz beim Umgang mit Baudenkmälern in beiden Ländern wurde intensiv diskutiert. Während in Deutschland kulturelles Erbe eher mit schonenden Verfahren in seinem Zustand konserviert oder restauriert wird, setzen die usbekischen Behörden überwiegend auf die Wiederherstellung des vermuteten ursprünglichen Aussehens jahrhundertealter Artefakte, wie Moscheen, Mausoleen und Medresen und lassen sie farbenprächtig und fotogen rekonstruieren.
Zum Abschluss der Summer School ließen die Studierenden ihren Ideen und Träumen freien Lauf und entwickelten interdisziplinäre Zukunftsvisionen für eine nachhaltige, von den besten Ideen der Seidenstraße profitierenden Mahallagesellschaft.
Eine Summer School voller Begegnungen, neuer Perspektiven und gemeinsamer Forschung!




